Die zwei Welten -„Taube“ und „Hörende“ Welt

Aus einem FB Gruppen-Post. Die Post-Frage lautete: »Mir geht das Gespräch, dass ein gehörloses Kind in einer „anderen Welt“ oder „zwischen zwei Welten“ lebt, ziemlich auf die Nerven! Klar, ein CI gibt nicht 100% Sicherheit, dass es hören oder reden kann – aber wenn’s doch funktioniert: Wieso dann diese Aussagen ständig? Habt Ihr Erfahrungen damit?«

Mein Kommentar zu dieser Post-Frage:

Ich beziehe mich hier auf die [im Kommentarverlauf des Gruppen-Posts] genannten Eckpunkte: „Zwei Welten“ und „Brücke“ und „Wo hingehören“.
Wir haben EINE Welt, nämlich die um uns herum (für den einen ist es eben die hörende Welt, für den anderen sind es gehörlose/schwerhörige Freunde/Familie/Arbeitsumfeld, für wieder andere ist es eine Mischung davon).
Die Brücke, die in den anderen Kommentaren vielfach genannt wurde, ist für mich persönlich die KOMMUNIKATIONSbrücke. Wenn man nicht alles versteht (geht ja auch Guthörenden so), fragt man ja nach, hakt man beim nicht-verstandenen Teil nach.
„Taube Welt“ und „Hörende Welt“: ++Es ist so!++
Ohne CIs (wenn in Reparatur oder ich bin phasenweise extrem auditiv-empfindlich, unabhängig von SP-Einstellungen) bin ich taub und bekomme nichts mit. Hier ist z.B. für mich meine Kommunikationstaktik wichtig, dass ich mich TROTZDEM einbringen kann. Wenn ich meiner Umgebung bedeute, dass ich auf sichtbares Mundbild angewiesen bin, stellen sich meine Gesprächspartner darauf auch ein. In dem Moment BRINGE ich MICH also SELBST ein und sorge selbst für eine weitgehend gute „Brücke“ zwischen der hörenden Welt und mir — und hier ist diese Metapher nun einmal tatsächlich so: „ZWEI WELTEN“. Meine Gesprächspartner sind zumeist auditiv orientiert und ich bin nun einmal VISUELL geprägt. Wenn Auditiv-orientierte (wie in meinem beruflichen Umfeld meine Mitarbeiter, meine Kunden, auch meine Familie) auf visuell-kommunizierende wie mich stoßen, sind es in der Tat zwei Welten, die aufeinander prallen
😉 . Ich selbst bin seit Geburt an Taubheit grenzend, progredient ertaubt und erst im Erwachsenenalter implantiert.

Aus heutiger Sicht wünschte ich mir, bereits als Kind den Zugang und engeren Bezug zur Gebärdensprache bekommen zu haben und auch, dass ich selbst für meinen Kommunikationsraum sorgen DARF! Ich habe mir zunächst LUG, dann DGS erst später als Erwachsene angeeignet, weil ich sie für mich als notwendig gesehen hatte. Ich wurde lautsprachlich erzogen (Reden habe ich durch Logopädie über Jahrzehnte gelernt, ist aber nicht mein natürlicher „Instinkt“. Ich weiß „das Werkzeug“ einzusetzen, wirke in meiner Sprechweise manchmal „gehetzt“, weil ich z.B. Bauchatmung-Sprechen-Kombi nicht vermittelt bekommen habe, war eingebunden in „nur-guthörender“ Welt, habe einen viel deutlicheren Bezug zur Schriftsprache und zu „visuellen“ Informationen (Mundbild/Körpersprache/Situation erfassen/Lesen).


Es geht meines Erachtens nicht allein um „Wo gehöre ich hin?“ oder „lieber lautsprachlich oder besser doch gebärdensprachlich?“, sondern primär um das SELBSTBEWUSSTSEIN des Kindes, seine eigene (Ich-)Wahrnehmung in der familiären Umgebung, in der Umgebung, in der es aufwächst. Wenn das Kind um seine Identität weiß und von sich sagen kann „SO BIN ICH!“, ist – wie ich finde – alles ok!

Dieses Selbstbewusstsein gilt es zu fördern. Wenn es nicht sprachverstehen kann, sollte das Kind auch den Umgang erfahren und lernen, dass es nicht schlimm ist und dass es eine Taktik einsetzen kann, trotzdem das nicht Verstandene um der Kommunikation wegen einzufordern. Und es darf normal sein.


Ich selbst hatte in meiner Kindheit -unter vielen anderen Missständen- auch leider häufig zu spüren bekommen, z.B: „Nicht so laut“ oder „Du störst das Gespräch“ (weil ich wissen wollte, worum es geht), noch miserabler: „Du bist halt anders“ (im Zusammenhang Regel-Kindergarten/-Schule: „nimm es hin, Du musst Dich schon anstrengen, zu uns zu gehören“) — und das geht GAR NICHT!
Ich für mich bin froh darum, dass ich für meine „Nicht-Vollsinnigkeit“ diverse „Kommunikationswerkzeuge“ einsetzen kann, das sind: Gebärdensprache, Mundabsehen, Sprechen, das Wissen um Hilfsmittel-Technik und die Kommunikationstaktik (mitunter „moderiere“ ich quasi sogar Gespräche mit mehreren Teilnehmer_innen, wenn lautsprachlich, damit ich mitbekomme, worum es geht, also um meines eigenen Sprachverstehens willen).
🙂